Unser Song 2017: Gut aufgelegte Schöneberger und Voting-Panne

Von vornherein war ich schon sehr skeptisch was den Vorentscheid betraf. Das möchte ich jetzt nicht noch einmal breittreten. Er wurde so durchgezogen, wir haben eine Gewinnerin und was am Ende dabei herauskommt muß man sehen. Da ich in den letzten Jahren die jeweils ausgewählten Titel deutlich stärker als weit jenseits der 20 eingeschätzt hatte, halte ich mich in diesem Jahr mit Prognosen mal zurück.

Übrigens hat Oliver von aufrechtgehn.de einen tollen Artikel über den Vorentscheid und dessen Nachteile geschrieben. Das kann ich nur empfehlen zu lesen.

Nun zum gestrigen Abend.

Moderiert wurde er von einer wie fast immer glänzend aufgelegten Barbara Schöneberger, die uns in einem sehr speziellen Ensemble aus schwarzem Korsett und apricotfarbenem Rock durch den Abend führte. Nach einer kurzen Gesangseinlage, wie ein richtiger ESC Song auszusehen hat, wurde die Jury vorgestellt die aus Lena, Tim Bendzko und Florian Silbereisen bestand. Diese hat allerdings nur beratende Funktion.

Anschließend ging es auch schon los mit den Coversongs von den Kanditaten. Helene mit ihrer Interpretation des Folsom Rythm Blues von Johnny Cash, gefolgt von Yosefin mit Beyoncés Love on Top, Felicia mit Robyns Dancing on my own. Anschließend der Hahn im Korb Axel Feige mit dem James Bond Song von Chris Cornett You know My Name und schließlich Levina mit Adeles When we were Young. Ich muß gestehen dass mich keiner dieser Coversongs auch nur im Geringsten begeisterte. Ich möchte gerne an so einem Abend unterhalten werden und nicht langsam aber sicher in gähnende Langeweile verfallen aus der ich nur wieder geweckt wurde wenn Barbara, die zwar auf Dauer etwas anstrengend war, ihre Anekdoten zum Besten gab. Auch von der Jury konnte man nicht sonderlich viel erwarten. Wer gedacht hat es gäbe harte Worte zu schlechten Performances, der hatte sich geirrt. Alle Kritik musste man quasi zwischen den Zeilen rauslesen. Eigentlich gab es fast immer Lob, aber manches war dann halt viel stärker als Anderes. So konnte man auch gut herauslesen, wer die Favoritin der Jury war.

https://www.youtube.com/watch?v=4k4Hz4sesvw

Ich versuche mal die Kandidaten zu charakterisieren:

Helena: Die süße Country Maus, die gute Laune verbreitet. Leider freut sie sich so sehr dass sie dabei ist, dass sie viele Töne einfach versemmelte, was sich besonders in der zweiten Runde bemerkbar machte.

Yosefin: Leider war es für sie schneller vorbei als es begonnen hat. Wer sich einen so unspektakulären, drögen Coversong aussucht und natürlich stimmlich bei weitem nicht mit Beyoncé konkurrieren kann, dem ist auch nicht mehr zu helfen. Wann begreifen die Interpreten, dass sie das Publikum nicht mit langweiligen dahinplätschernden Balladen für sich überzeugen können?

Felicia: Hier gilt noch viel mehr das vorher geschriebene. Sie hat mir so gut auf youtube mit ihrem Elektrocoversongs gefallen und dann liefert sie gestern Abend so einen sterbenslangweiligen Song ab. Warum? Bitte erklär es mir? Ich kann das beim besten Willen nicht nachvollziehen.

Axel: Mann, Mann, Mann der einzige Mann im Feld. Die ganze Show sollte er locker in der Tasche haben. Tolle Stimme, er sieht gut aus, und dann so ein Totalausfall was Bühnenpräsenz betrifft. Er machte den Eindruck als ob er total neben sich stehen würde und ihn das alles gar nichts angehen würde.

Levina: Tolle herausragende Stimme und auch die Bühnenpräsenz war, neben Helena am deutlichsten ausgeprägt. Sie war eigentlich den ganzen Abend über das mit Abstand Beste Gesamtpaket.

https://www.youtube.com/watch?v=0dl-SwZB6S0

Ein interessante Neuerung des Vorentscheids war, dass die europäischen Zuschauer per App auch für ihren Favoriten stimmen durften um hier zumindest eine Richtung vorzugeben, in die die anderen teilnehmenden Länder tendierten. Man weiß natürlich dass die deutschen Zuschauer sich nicht gerne sagen lassen was gut ist und oftmals genau das Gegenteil von dem wählen was Jury oder wie hier der Rest von Europa vorgibt. Auf dem ersten Platz landete Axel mit 28%, gefolgt von Felicia mit 26% und Levina mit 22%. Yosefin mit 13 und Helene mit 11% rangierten am Ende der Tabelle. So hatte ich mir das auch vorgestellt. Aber gerade durch diese Einblendung wurden die Zuschauer wohl angespornt für den üblichen Underdog anzurufen und somit nahm Helene Felicia den dritten Platz weg und zog neben Axel und Levina in die zweite Runde ein.

In der zweiten Runde kam der erste Originalsong Wildfire zum Einsatz. Tja hier hätte ich gerne Felicia gehört, aber das wurde ja unterbunden. Also hörten wir ein Country Version des Songs von Helene, eine dröge verschlafene Version von Nichtpräsenz Axel und die beste Version von Levina. Spätestens hier war klar dass sie sowohl der Favorit von Jury, Barbara und dem Publikum war. Ich hatte zuerst etwas Bedenken, dass Helene weiterkommen würde. Deutschland hat doch immer eine Schwäche für süße Mädchen die einfach Spaß haben. Aber sie urteilten richtig, Axel und Levina kamen weiter.

https://www.youtube.com/watch?v=g24poeL-q_8

Jetzt dachte ich, dass der Groschen bei Axel fällt und er meine Lieblings-Interpret/Song Kombination am überzeugendsten rüberbringt. Nun etwas besser als Wildfire war er schon aber auch hier viel zu brav, während Levina immer mehr aus sich herausging und Perfect Live nochmal besser als Axel performte. Jetzt war ich mit meinem Latein am Ende. Wollten wir wirklich das Fünfte Mal in Folge eine Frau zum ESC schicken? Zur Erinnerung: Es hat nicht funktioniert! Zweimal letzte und Platz 18 und 21!  Der Lena Effekt wird langsam langweilig. Axel hatte es so auf dem Silbertablett präsentiert bekommen und sowas von versemmelt.

So kam es dann auch, dass wir nur die Auswahl zwischen den beiden Songs bekamen und auf jeden Fall Levina nach Kiew fährt. Versteht mich nicht falsch. Sie kann singen aber die Songs sind halt nicht das Gelbe vom Ei.

Sie gewann dann schließlich mit Perfect Life. An sich höre ich den Song von ihr sehr gerne aber beim ESC hätte ich dann doch lieber Wildfire von ihr gehört. Und nein ich folge hier nicht wie ein Lemming der Schöneberger und Jury Wertung, ich kann mir durchaus ein eigenes Bild von den Songs machen und ich glaube einfach dass der Aha Effekt, den ich beim ersten Auftritt von Levina mit dem Song hatte, auch Europa erreicht hätte. Das der schließlich ausgewählte Song deutliche Anleihen an David Guettas Titanium hat, belastet mich wenig. Die Melodiefolge ist etwas unterschiedlich und wird deshalb sicherlich nicht als Plagiat gewertet. Allerdings bin ich mir sicher dass spätestens morgen die Blödzeitung damit aufmachen wird.

Ach ja lieber NDR, wenn ihr schon die europäischen User abstimmen lasst dann sorgt auch dafür, dass Zahlen da sind, die man in der Sendung zeigen kann. Bei der letzten Einblendung welche aufzeigen sollte welche Song/Interpret Version von Europa favorisiert war, wurde nämlich nur das Testbild aus der Probe angezeigt. Man hatte wohl einfach nicht genug Daten um eine aussagekräftige Vorhersage einblenden zu können oder die Verantwortlichen haben einfach geschlafen. Auch dieses ewige „Zeigen wir mal nen Schnelldurchlauf – oder doch nicht“ zeugte nicht gerade von Professionalität.

Fast hätte ich noch vergessen dass es auch Intervallacts gab. Diese waren aber nicht wirklich der Rede wert. Ein dröges Lied von Mathias „Jetzt singt der auch noch“ Schweighöfer und ein midestens genauso dröges Lied von Tim „ist das jetzt nochmal Schweighöfer“ Bendzko. Eine durchaus schöne Einspielung über die Outfits beim ESC und den Barbara Dex Award ging völlig unter, da wir hier nur Peter Urban hörten und nicht die Musik der eingespielten Videos. Amateurhaft! Man muß den Zuschauern auch die Gelegenheit geben einen Song zu erkennen der im Video eingespielt wurde ohne Fan vom ESC zu sein.

Das eindeutige Highlight war der Auftritt von Ruslana mit Euphoria, wobei hier die Töne nicht unbedingt so saßen, Nicole mit Merci Cheri und als Höhepunkt Conchita mit Sattelite.

Schlußwort: Ich weiß ja dass die Entscheider vom NDR nicht auf die Fanbase hören sonst würde das ganze Konzept anders aussehen. Immer wieder wird in diversen einschlägigen Blogs national und International das Konzept kritisiert. Ebenso wundert es alle warum man in jedem Jahr mit etwas Neuem kommen muß anstatt mal konsistent über ein Paar Jahre hinweg das gleiche System anzuwenden. Ich finde nach wie vor einen mehrstufigen Vorentscheid mit bekannteren und unbekannteren Künstlern gut in dem es nur um die Musik geht. Unabhängige Sänger, die nicht von ihren Plattenfirmen ausgesucht werden sondern die das selbst wollen. Jeder Sänger soll einen eigenen Song präsentieren. Vielleicht wird man es am Anfang schwer haben bekannte Künstler für einen Vorentscheid zu begeistern aber wenn dieser sich etabliert hat könnte das vielleicht in Zukunft was werden. Rom ist auch nicht an einem Tag gebaut worden. 2 Halbfinale mit 7 Songs und dann ein Finale mit den besten 4 jedes Halbfinals. Damit könnte man doch erstmal arbeiten. Die Shows könnten in einer bis eineinhalb Stunden fertig sein und das Finale vielleicht in zweien. Ist das denn so schwer?

Deutsche Vorentscheidung, Deutschland, esc 2017, Nationaler Vorentscheid
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